Werkschau ’22 Therme Zurzach

Die Botschaft vom 4. Juli 2022

Laudatio von Roy Oppenheim

Gedanken zu seinem Werk

Während Jahrtausende suchte der Mensch Antworten auf die existentiellen Fragen in kosmischen Dimensionen, in der makroskopischen Welt: in den Gestirnen etwa. Die spannende Geschichte der Eisenbearbeitung, die mit der Entdeckung des göttlich verehrten Meteoreisens vor über 3500 Jahren begann, also mit Eisen, das vom Himmel fiel. Die handwerkliche Auseinandersetzung, das Schmieden ist für Walter Lauener ein kreativer Prozess. Zwischen dieser Glut gibt es einen inneren Zusammenhang zum feu sacré, “Das heilige Feuer ist die kreative Kraft, die den Künstler vorwärts treibt und zu Höchstleistungen anspornt. In jedem Werk glüht etwas von diesem „feu sacré“, und wer davor verweilt, wird davon ergriffen.“ Wilhelm Lehmbruck sagte einmal: „Ein jedes Kunstwerk muss etwas von den ersten Schöpfungstagen haben, von Erdgeruch, man könnte sagen: etwas Animalisches.“ Dieser Erdgeruch, dieser Materialgeruch, dieses Animalische ist grundlegend und zieht sich durch das ganze Werk. Technoide, technische und vegetative Elemente zu freien Raumplastiken sind die Grundlagen. Die Auseinandersetzung mit der Materie, mit Metall gewinnt bei Walter Lauener eine neue Qualität. Erst in der Moderne zeigt sich der umgekehrte Weg: Der Mensch erkennt, dass sich die Geheimnisse der Materie mittels unserer Sinne kaum zu erforschen sind; es braucht Mikroskope, Elektronenmikroskope, um die molekularen Strukturen der Materie zu erkennen. Und dieser Blick in den mikrokosmischen und mikrobiologischen Aufbau von Atomen, Molekülen, Zellen und Genen lässt ein völlig neues Bild des Kosmos erscheinen und konfrontiert uns direkt mit der Grundfrage, wo und wann „Leben“ beginnt. Und vor allem: das Leben ist nicht aus dem Kosmos gekommen, sondern aus der Zusammenballung von Atomen zu Molekülen, von Molekülen zu grösseren Einheiten bis hin zu dem, was wir schliesslich als Gestein, als Metall, als erste biologische Wesen bis hin zur Flora und Fauna wahrnehmen. Diese Evolution hat uns den Weg gezeigt, den wir Leben, Existenz nennen. Die Kraft des Kosmos kommt aus den Atomen… Was ist aber nun Schönheit? Das haben Künstler und Philosophen schon vor langer Zeit intuitiv gespürt und geahnt. In der griechischen Antike wurde Schönheit als das Durchleuchten des ewigen Glanzes des „Einen“ durch die materielle Erscheinung bezeichnet. Die Lehre der Pythagoräer wird von der Überzeugung bestimmt, dass als Urgrund alles Seienden nicht mehr der sinnliche Stoff, sondern ein ideelles Formprinzip stehe. Heute wissen wir: Die Griechen hatten recht. Johannes Kepler, der grosse Physiker (1571 – 1630), war begeistert von der Schönheit der pythagoreischen Vorstellung und verglich die Bahnen der Planeten um die Sonne mit den Schwingungen einer Instrumenten-Saite. Isaac Newton hat diese Zusammenhänge vollends freigelegt und in einem grossen Werk publiziert. Im 20. Jahrhundert haben Relativitätstheorie und Quantentheorie, später Atom- und Molekularphysik die uralte Vorstellung einer Gesetzmässigkeit in der Materie auf ihre Weise bestätigt. Ähnliche Feststellungen liessen sich auch im Bereich der Botanik und Biologie finden. Der Basler Biologe Portmann spricht von der „unbeabsichtigten und unbewussten Selbstdarstellung der Natur“. Portmann meint damit die Eigenschaft alles Lebenden, sich Farbe, Form und Gestalt zu geben. Und dies auch dort, wo wir mit unseren Augen gar nicht hinsehen können: beispielsweise ins Innere der Muschel. Heute würden wir auch sagen: ins Inneren der Moleküle, der Gene. Daraus entsteht der zentrale Gedanke, dass der Künstler so wirken möge wie die Natur wirkt. Er möchte Gestalten werden lassen, die sich den bereits bestehenden Gestalten anfügen, die bestehende Welt erweitern, bereichern; die mit der „Selbstverständlichkeit alles Seienden“ da sind und im Zwiegespräch mit dem Betrachter ihre Eigengesetzlichkeit offenbaren. Die epochale Erkenntnis, dass der Welt und dem Kosmos – dem Makro- und dem Mikrokosmos – Gesetze zugrunde liegen, die alle miteinander in Beziehung stehen, haben in der Mitte des 20. Jahrhunderts die Kunst wohl mehr beeinflusst, als wir wahrhaben wollen. Die Trennung in belebte und unbelebte Natur allerdings war fortan nicht haltbar. Auch Metalle haben ihre Lebendigkeit, ihre eigene Sprache – wir müssen sie nur erkennen. Aus der Sicht der grossen revolutionären Erkenntnisse der Moderne gewinnt die antike Definition „Die Schönheit ist das Durchleuchten des ewigen Glanzes des „Einen“ durch die materielle Erscheinung“ eine neue Bedeutung, aus deren Sicht – dies sei noch bemerkt – zwischen Schönheit und Wahrheit kein Widerspruch mehr besteht. Aus Sicht des bisher Beschriebenen erhält auch die zentrale Frage der Moderne – gegenständlich–ungegenständlich/abstrakt – eine völlig untergeordnete Bedeutung; schliesslich belegt der Blick durchs Mikroskop ebenso eine ungegenständliche Sicht der „gegenständlichen“ Welt wie die digitalen Fotos, die Aufnahmen der Marsoberfläche. Solche Erkenntnisse haben auch Walter Lauener – bewusst oder unbewusst lassen wir dahingestellt – zu neuen Entwicklungsschritten angeregt. Lauener will die Natur nicht imitieren – er dringt in die Tiefe der Dinge und damit auch in die Tiefe seiner selbst, um in seinen Werken nicht bloss etwas leicht und oberflächlich Wirkendes zu finden, sondern, wetteifernd mit der Natur, etwas geistig Organisches hervorzubringen, was über die Banalität des Alltags, über das Individuelle hinaus weist. Adalbert Stifter spricht in seinem Werk „Bunte Steine“ den Satz aus: „Wir wollen das sanfte Gesetz zu erblicken suchen, wodurch das menschliche Geschlecht geleitet wird.“ Pygmalion. Legende des Mythos vom Künstler, vom Bildhauer: Ovid erzählt sie in den Metamorphosen. Er fertigt eine Statue aus Elfenbein und verliebt sich in sie. Durch die Gunst der Venus wird die Skulptur zum Leben erweckt. Zum Leben erwecken…Auch davon ist in Laueners Arbeit viel zu spüren.